Vitra Designcampus – Ein Tag im Himmel der (Innen)Architekten
Weil am Rhein – die Stadt der Stühle. Sowohl Internetauftritt als auch das Stadtbild selbst präsentieren diese Verbindung. Das „Warum“ ist uns Innenarchitekten wohlbekannt: Bei Weil am Rhein im Dreiländereck befindet sich einer der namhaftesten Möbelhersteller, der bekannteste Designs und Designer unter seinem Namen vereint: Vitra.
Das Firmengelände des ursprünglich schweizerischen Unternehmens ist jedem Designstudenten zumindest von Bildern und Erzählungen nicht fremd: Der Vitra Design Campus. wie passend dieser Name doch ist, bedenkt man, dass kaum eine Vorlesungsreihe zur Designgeschichte ohne ein Gebäudebeispiel von diesem kleinen Flecken Land im Dreiländereck auskommt. Als Student hatte ich leider nie das Vergnügen all diese Bauten live zu sehen, über den Designcampus zu schlendern und mich auf weltberühte Designerstühle zu setzen. Heute jedoch kann ich sagen: Es sitzt sch gut auf diesen Stühlen und auch auf dem Designcampus ist mal schlechtes Wetter (was kaum zu glauben ist, wenn man doch jahrelang diese Schönwetterbilder zu sehen bekommen hat ;) )
Zum Designcampus wurde das Vitra Firmengelände durch ein Unglück: Der Großteil der nach den 1950er Jahren errichteten Produktionsstätten brannte 1981 in einem Feuer nieder. Doch aus der Not entstand eine grandiose Idee. Rolf Fehlbaum hatte gemeinsam mit seinem Bruder vier Jahre zuvor das Geschäfft des Vaters übernommen. Design – sowohl Möbel als auch Architektur – war seine große Leidenschaft. Er sammelte Objekte großer Designer und Künstler. Durch den verheerenden Brand bekam er die Chance das Firmenareal nicht nur als Produktionsstätte, sondern auch als Spielplatz einer Sammelleidenschaft und als Aushängeschild der Firma Vitra wieder neu aufzubauen. Rolf Fehlbaum fragte bekannte Architekten und Künstler an, ob sie sich nicht auf diesem Gelände verewigen wollten. Und viele taten es. Heute ist der Vitra Campus ein einmaliges architektonisches Gesamtkunstwerk das noch weiter wächst. Der Architekturkritiker Philip Johnson schrieb darüber: „Seit der Gründung der Weissenhofsiedlung in Stuttgart im Jahr 1927 wurden nirgends auf der Welt mehr Bauwerke von den herausragendsten Architekten der westlichen Hemisphäre errichtet“ Und diese architektonischen Kunstwerke harmonieren miteinander. Keiner der Architekten stellt sich selbst in den Vordergrund. Es ist ein Gesamtkunstwerk das auch mit dem nahegelegenen Wohngebiet und der Natur des Dreiländerecks zu verschmelzen scheint.
Bei meiner Ankunft in Weil am Rhein war die Sonne bereits untergegangen. Durch die klare Nacht leuchteten mir Häuserfassaden entgegen. Auf den ersten Blick erschien es als wolle ein Hausbesitzer seine Stomrechnung besonders hochtreiben, bis mir klar wurde: Das ist der Vitra Campus und was ich sehe ist keinesfalls ein Wohnhaus, sondern eine der vielen Seiten des Vitra Hauses.
2010 wurde das Vitra Haus von den Architeten Herzog & de Meuron errichtet und beinhaltet seitdem den Flagshipstore der Marke Vitra. Im Inneren fühlt man sch wie in die Schöner Wohnen hineinversetzt. Wohnen und Living ist hier Thema. Aus diesem Grund haben die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron bei ihrem Entwurf auf die Form des Urhauses zurückgegriffen: Häuser mit Giebeldach stehen für das ursprüngliche Wohnen, in die Länge gezogen, ineinandergestapelt und an den Längsseiten mit großen Fenstern versehen ist aus jeder Richtung der Eindruck eines Hauses mit Giebeldach ein Wilkommensgruß. Der Häuserhaufen besteht aus 12 scheinbaren Einzelteilen die irgendwie chaotisch aufeinander aufgetürmt sind. Eine echte Heruasforderung für eine schnelle Skizze. Im Vitra Haus selbst ist nicht nur die Einrichtung bewundernswert, sondern auch der Ausblick der sich bietet. Das 21.3m hohe Gebäude erlaubt weite Blicke auf Weinberge und bis in die Schweiz.
Meine Tour über den Vitra Campus begann nach einem wärmenden Tee, den ich bei strömendem Regen wirklich nötig hatte, schließlich an einem der öffentlich zugänglichen und wohl auch bekanntesten Gebäuden vor Ort: Dem Vitra Design Museum, entworfen von Frank o. Gehry. Es war der erste Bau des schon damals weltberühmten Architekten in Europa. Ursprünglich sollte darin die große Stuhl- und Designsammlung untergebracht werden, die bis dato in einem Schuppen gelagert worden war. Doch nach der Gründung einer unabhängigen Stiftung erhielt der Bau einen neuen Zweck: Er wurde zum Museum für wechselnde Ausstellungen zum Thema Architektur und Design. Das Museumsgebäudeselbst ist ein Kusntwerk. Ich persönlich sehe in Frank o. Gehrys Gebäuden tatsächlich oft das Zusammengeknüllte und weggeworfene Stück Papier, das wohl als Vorlage gedient haben muss (glaubt man einer bekannten Fernseserie deren Hauptdarsteller allesamt gelber Hautfarbe sind). In Wirklichkeit jedoch sind diese scheinbar wirren Formen das Ergebnis gut geplanter Architektur. Form follows fuction steht hier an erster Stelle. Das Museum selbst besuchte ich nicht, da es für mich auch zu einem anderen Zeitpunkt zugänglich sein würde. Mich zog es zu den Gebäuden, die nicht jeder Besucher zu sehen bekommt: Zu den Produktionsstätten.
Auf dem Weg Dorthin durfte ich noch ein weiteres Werk Frank O. Gehrys begutachten: die Pforte sowie die dahinter liegende Produktionshalle. Durch Sie durfte ich zur Mittagszeit dann auch den gewundenenen, nach oben strebenden Gang hinauf in die Kantine gehen. Wer kann schon von sich behaupten in einer Kantine gegessen zu haben, die ein weltberühmter Architekt entworfen hat?
Direkt von der Pforte aus fällt mein Blick auf eine wohlbekannte Struktur: Ein geodätisches Kuppeldach nach Art des berühmten Architekten Buckminster Fuller. Als Absolventin des Studiengangs Innenarchitektur und Schülerin von Herrn Professor Kinzinger ist mir diese Konstruktion natürlich wohlbekannt, haben wir als Studenten doch oft Nachbildungen in allen Größen gebaut. Ursprünglich diente die Kuppel auf dem Vitra Gelände als Dach für eine Autoausstellung. Beim Betreten wird man des Ausmaßes erst gewahr: Hier haben viele Wagen Platz. Das Schattenspiel der Aluminiumstangen auf der Außenhülle ist phantastisch. Die Akustik eine positive Überraschung.
Auf dem Weg zu den Produktionstätten fällt ein kleines Gebäude ins Auge. Was ist denn das? Eine Bushaltestelle? Nein… die Bushaltestelle, die allerdings auch bekannt ist befindet sich natürlich an der Straße. Dort hält schließlich auch der Bus. Sie wurde 2006 von niemand geringerem als Jasper Morrison entworfen. Das Gebäude vor dem wir stehen hatte an seinem ursprünglichen Standort einen ganz anderen Zweck. Es handelt sich hierbei um eine Tankstelle – ohne Zapfsäulen wohlgemerkt. Die von Jean Prouvé gemeinsam mit seinem Bruder Henry Prouvé entworfene Konstruktion gehört zu den ersten seriell hergestellten Tankstellen. 1953 gefertigt waren diese Tankstellenhäuschen häufig in Frankreich zu sehen. Mittlerweile gibt es nur noch 3 Exemplare. Eines davon steht seit 2003 auf dem Vitragelände. Eine der Mitarbeiterin erzählt mir, dass darin ein hervorragender Platz für den DJ sei, der bei Firmenfeiern den Asphalt vor der Tankstelle zum kochen bringt.
Schon von weitem ist sie zu sehen: Eine Brücke! Allerdings kann man nicht darüber gehen, denn wenn es nicht gerade regnet, wie am Tage meines Besuches, ist die Brücke nach oben geklappt um den Blick auf eines der wohl bekanntesten Gebäude des Geländes nicht zu versperren: das Feuerwehrhaus von Zaha Hadid. Die Brückenkonstruktion ist also im Grunde ein Dach, das es den Angestellten und Materialien ermöglicht trocken von der einen in die andere Lagerhalle zu gelangen, zu der die Brücke gehört. Die große, schlichte Backsteinhalle von Álvaro Siza, die an anonyme Fabrikgebäude des 19. Jahrhunderts erinnert, tritt hinter die Bedürfnisse der anderen Baukörper auf dem Gelände zurück. Trotz seines schlichten Erscheinunsbildes spiegelt das 1994 errichtete Mauerwerk die Kunst Niederländischer Baumeister wieder, die wohl als einzige ein solch gleichmäßige Mauerstruktur erschaffen konnten. Mit ihrer Backsteinverblendung nimmt die Siza-Halle formal Bezug auf die 1981 abgebrannten Produktionsgebäude.
Nach diesem Großbrand beschloss man eine Firmenfeuerwehr zu gründen. Das passende Feuerwehrhaus sollte das erste tatsächlich umgesetzte Gebäude der Künstlerin und Architektin Zaha Hadid werden. 1993 wurde es fertiggestellt. Es besteht aus Räumen für Feuerwehrautos, Duschen und Umkleideräume der Feuerwehrmänner sowie einem Besprechungsraum mit Küchenabteil. Die einzelnen Bauteile sind wie eine Skulptur vor Ort in Beton gegossen. Ganz ohne rechte Winkel und mit nur wenig Farbe ist Zaha Hadids Feuerwehrhaus aus keinem Studium der Architektur als Beispiel wegzudenken. Ob Das Gebäude jedoch als Einsatzzentrale für eine Feuerwehr sinnvoll genutzt werden kann mag ich zu bezweifeln. Vielleicht ist nicht zuletzt dies der Grund dafür, dass nur wenige Jahre nach dem Bau die Firmenfeuerwehr wieder aufgelöst wurde und die neu gegründete städtische Feuerwehr das Firmengelände zu seinen Einsatzgebieten zählt.
Es war verrückt in den Räumen zu stehen,die ich schon soviele male auf Fotografien oder in Videos gesehen hatte. Die Raumeindrücke sind unvorstellbar, ebenso wie die Interaktion mit der Umgebung. Das muss man live gesehen haben.
Auf meinem weiteren Weg laufe ich ein Stück an der Produktionshalle vorbei, die an die bereits erwähnte Brücke Sizas angeschlossen ist. Sie ist recht unscheinbar. Nicholas Grimshaws erster Bau auf dem Vitra Campus 1981 ist was er ist: Ein Industriegebäude. Grimshaw vollendete den Bau innerhalb der ersten sechs Monate nach dem großen Brand. Dies war auch notwendig, denn nur dieser Zeitraum wurde von der Versicherung abgedeckt. Die Produktion musste wieder aufgenommen werden. Neben Produktionshallen befinden sich in seinem mit horizontal gewellten Fassadenteilen aus Aluminiumblech versehene Gebäude zwei Showrooms sowie das Citizen Office, welches ich ebenfalls besuchen durfte, aber psssssst… da darf ich nix verraten….
Ich biege um die Ecke und sehe… nichts. Auf den ersten Blick zumindest nicht. An diesem regnerischen, leicht nebligen Tag mit verhangenem Himmel verschmilzt die vor mir liegende große Produktionshalle der Architekten SANAA förmlich mit dem Himmel. Das 2012 fertiggestellte Gebäude ist beinahe kreisförmig und mit einer wellenförmigen, weißen Fassade umgeben. Die Besonderheit: Zunächst wurde nur eine Hälfte des Gebäudes fertiggestellt, dann folgte der zweite Bauabschnitt und schlussendlich die Fassade. Schaut man etwas genauer hin erkennt man, dass die Fassade wohl aus nur 4 unterschiedlichen Teilen besteht. bringt man diese auch kopfüber an ergeben sich 8 unterschiedliche Elemente die über das gesamte Rund verteilt wirken, als würde sich kein Teil wiederholen. Der leicht schwebende Eindruck entsteht durch die unterschiedlichen Schichten des Plexiglases. Das Weiß ist lediglich die hintere Schicht. die vordere, viel dickere ist transparent. Im Inneren des Gebäudes ist es trotz mangelnder Fenster in der Fassade sehr hell. An sonnigen Tagen, so erzählt man mir, wird kein künstliches Licht benötigt.
Den Abschluss meiner Architekturführung stellte schließlich der Konferenzpavillion des japanischen Architekten Tadao Ando dar. Ihn 1993 dazu zu bewegen das erste Bauwerk außerhalb japans zu planen und auch umzusetzen gestaltete sich entsprechend schwierig. Er war wohl fest davon überzeugt, dass seine Werke nicht außerhalb der japanischen Kultur wirken könnten. Die Streuobstwiese des Vitrageländes jedoch belehrte ihn eines Besseren: Bei seinem ersten Besuch vor Ort blühten die Kirschbäume und der Japaner, an seine Heiamt erinnert, stimmte dem Bau zu. Er bemühte sich möglichst keinen der alten Bäume zu fällen. Um die drei Kirschbäume, die dem Konferenzpavillion dennoch weichen mussten dreht sich ein Mythos: Drei Blätter sind in der Betonwand vor dem Eingang zu sehen. Die Struktur gelangte wohl durch in die Verschalung gefallene Blätter auf die Wand. Die drei Blätter sollen für die drei gefällten Bäume stehen. Ich komme an ihnen vorbei, während ich den an einen Meditationsweg angelehnten Pfad Richtung Haupteingang gehe. Dieser Pfad ist so schmal, dass man ihn nicht nebeneinenader betreten kann. Er soll die Konzentration und Ruhe fördern, bevor man das Gebäude betritt. Wie auch seine japanischen Bauwerke orientiert sich der Konferenzpavillion Tadao Andos an der größe der japanischen Tatamimatten. Die Verschalungen für die Betonwäde hatten eben diese Größe. Sein besonderes Markenzeichen ist deren Aussehen: Sechs Verakerungspunkte pro Platte. Dies rührt daher, dass in Japan sechs Verankerungspunkte auf diese Größe vorgescheiben sind. In Deutschland hätten vier Punkte ausgereicht, doch nur die sechs Punkte stellen Andos Markenzeichen dar. Der Beton des japanischen Architekten ist etwas ganz Besonderes, noch nie habe ich Beton angefasst, der so fein und weich ist. Wirklich toll. Da musste ich gleich meine Wange anschmiegen ;). Im Zusammenspiel mit dem verwendeten Holz und Glas ergibt sich eine tolle Raumstimmung. Der größte Teil des Gebäudekomplexes Konferenzpavillion befindet sich unter der Erde. Dies spielt jedoch keine Rolle, wenn man sich darin befindet, denn durh einen großzügigen Lichthof gelangt viel Sonnenlicht auch in die unten gelegenen Räume.
Bevor ich wieder zurück ins Vtra Haus gehenum die dort untergebrachten Ausstellungen zu besuchen kommen ich noch an einem überdimensionierten Werkzeugkasten vorbei. Zum 70. Geburtstag von Willi Fehlbaum, dem Gründer von Vitra, schenkten ihm seine Kinder die Skulptur „Balancing Tools“. Claes Oldenburg und Coosje van Bruggen stellten die Werkzeuge des Polsterers – Zange, Hammer und Schraubedreher – in Übergröße dar.
Der neue Aussichts- und Rutschenturm auf dem Gelände war wegen des miserablen Wetters leider geschlossen. Dabei hatte ich mich so auf das Rutschen gefreut…
Außerdem ha tmeine zeit gar nciht ausgereicht wirklich alle tollen Bauten und Stücke auf dem Gelände zu sehen. Auf jeden Fall ein Grund wieder zu kommen!
Wenn euch der Campus ebenfalls Interessiert, dann schaut doch mal hier vorbei. Viele der Bilder stammen ebenfalls von der Seite (wer will schon meine Regen-Bilder sehen? ;) )