Designklassiker – der Ulmer Hocker

Ulmer Hocker, Ulmer schule für Gestaltung,, designikone, Designklassiker, Design

Designklassiker – der Ulmer Hocker

Und weiter geht’s mit der Serie der Designklassiker. Im Januar hat der Panton Chair den Anfang gemacht, heute geht’s weiter mit dem Ulmer Hocker.

Für einige von  euch mag das ja seltsam klingen, aber seit meiner Studienzeit möchte ich so ein Teil haben. Ja! Wirklich! „Wie? du willst einen Haufen Geld für drei Bretter und ein Rundholz ausgeben? Das bastel ich dir selbst nach einem Besuch im Baumarkt!“ hm.. ja… ich weiß: Der Ulmer Hocker besticht jetzt nicht unbedingt durch eine außergewöhnliche Form, tolle Materialien oder hohen Sitzkomfort. Er ist auch nicht unbedingt dekorativ oder ein technisches Wunderwerk. Aber: er ist ein Stück Geschichte!

[gss ids=“1616,1604,1617,1615″ name=“1″ options=“timeout=3000″]

1953 – die berühmte Bahaus-Schule für Gestaltung gab es bereits nicht mehr – gründeten  unter anderen Inge Aicher-Scholl, Otl Aicher und auch  Max Bill die neue Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm.  Das US-amerikanische Campus-Konzept sollte die Designschmiede bestimmen: Ein Zusammenleben von Studenten und Professoren in ständiger kreativer Atmosphäre und freundschaftlichem Umfeld. 4 Jahre dauerte die Ausbildung an der HfG. Im Grundstudium beschäftigten sich die Studenten mit Handwerkstechniken, im Hauptstudium schließlich spezialisierten sie sich in den Fachgebieten Gestalter für Produktgestaltung, Visuelle Kommunikation, Bauen, Information (bis 1964) und Film. Die Anfänge waren schwer: Die neue Hochschule musste finanziert werden, die Mittel waren knapp. Für eine klassische Bestuhlung der Höhrsäle und anderen Räumlichkeiten war im Grunde kein Geld da. Doch die Berufsdesigner an der HfG wussten sich natürlich zu helfen.

Ulmer Hocker

Max Bill gilt als Vater des Ulmer Hockers

Im ersten Jahr der Hochschule entsteht eine Sitzgelegenheit aus drei Fichtenbrettern und einem Buchenrundholz: Der Ulmer Hocker. Max Bill, der erste Schulleiter der HfG, Hans Gugelot und der Ulmer Werkstattmeister Paul Hildinger, der die Zinkenverbindung (Schwalbenschwanzverbindung) der Holzbretter beisteuert entwickeln den Ulmer Hocker 1954. Seine Bretter werden maschinell bearbeitet, den Abschluss der beiden Flanken bildet eine Buchenholzleiste, um ein Splittern der Fichtenbretter zu verhindern. Da die Flanken durch einen Rundstab stabilisiert werden, kann der Hocker auch auf die Seite gelegt werden, wodurch zwei unterschiedliche Höhen nutzbar sind.

gss ids=“1614,1613,1612,1611,1610,1609,1607,1606,1605,1603,1602″ name=“2″ options=“timeout=3000″

Der Ulmer Hocker wird als Stuhlersatz zu verschiedenen Veranstaltungen mitgebracht, er dient als Beistelltisch, als Rednerpult, einfaches Regalelement oder schlichtes Tragegestell mit dem Bücher und Werkzeuge transportiert werden. Stehen mehrere Hocker in einem Raum nebeneinander erkennen Kritiker und Befürworter der Hochschule nicht nur das schlichte  Konstruktionsprinzip des Drei-Brett-Stuhls, sondern fühlen sich durch die Würfelstruktur  vor ihren Augen an die in Ulm in der Architektur favorisierte Theorie des Elementbaus erinnert, der andernorts als „Würfelhusten“ verspottet wird.

die schlichte Form des Ulmer Hocker ist ein Statement in einer Zeit in der Wahlkämpfe mit der Losung „Keine Experimente“ gewonnen werden und „Wir-sind-wer“-Sprüche längst verinnerlicht sind und Eiche Rustikal in die Wohnzimmer einzieht, signalisiert die schnöde HfG-Kiste nicht Form, sondern Verweigerung. Sein Charakter entspricht in jeder Hinsicht der Haltung die zur Gründung der Ulmer Hochschule für Gestaltung geführt hat.

Ulmer Hocker

Drei Bretter und ein Stab gelten als die letzte Hinterlassenschaft der Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG). Nach nur 15-jährigem Bestehen wird die HfG 1968 geschlossen.Sie hat das Nachdenken über Architektur und Design weit mehr beeinflusst als andere Ausbildungststätten Deutschlands. Der Ulmer Hocker wird zum Symbol eines ganz neuen Gestaltungsverständnisses.

Nicht wirklich schön, nicht wirklich funktional, aber dafür ein statement: Auf dem Ulmer Hocker sitzt man aus Überzeugung.

[gss ids=“1617,1618,1616,1604″ name=“3″ options=“timeout=3000″]

Und auch wenn man nicht bequem sitzt: Ich will darauf sitzen (oder vielleicht nutze ich ihn auch einfach als Beistelltisch in meiner neuen Leseecke). Zum Glück wird der Ulmer Hocker auch heute noch produziert. Seit 2011 wird der Ulmer Hocker in einer lizenzierten Re-Edition von der Zürcher Firma WB Form analog zum Original hergestellt. Neben dem ursprünglichen Erscheinungsbild in Fichte und Buche ist er nun auch in diversen Farben erhältlich.

Und wie sieht’s aus? Konnte ich euch für ein Möbelstück aus drei Brettern und einem Rundholz begeistern? Wo würde sich die Ulmer Ikone bei euch gut machen? Oder könnt ihr das Teil so gar nicht leiden? Ich bin gespannt!

Unterschrift

 

Mehr zur Geschichte des Ulmer Hockers, sowie viele der hier gezeigten Fotos findet ihr im Archiv der HfG Ulm.

 

weitere Designklassiker:

Der Panton Chair

Thonet Nr. 214

Anglepoise Lamp

Ball Clock (Atomic Clock)

Kay Bojesen Affe

 

Comments

  • 5. März 2015
    reply

    Das ist mal wieder ein schöner Post! Ich mag deine Design Klassiker und bin schon gespannt, was als nächstes kommt. Der Hocker scheint mir zum sitzen echt etwas ungemütlich, aber ich könnte mir ihn super als Beistelltischlein vorstellen. In weiß finde ich ihn auch toll :-)

    Liebe Grüße
    Dörthe

  • 6. März 2015
    reply

    Ich kann Dich verstehen, ich hätte auch gerne einen. Ich ärgere mich immer noch, dass ich mir während des Schreinerpraktikums keinen gebaut habe. Wie will man denn auf einen Hocker sitzen? Bequem? Wenn schon unbequem auf einen Hocker sitzen, dann doch auf einen Ulmer-Hocker.
    Danke für den Ausflug in die Zeitgeschichte!
    Liebe Grüße
    Cora

  • 8. März 2015
    reply

    Liebe Franzy,

    da bin ich schon wieder, denn ich habe dich für den Liebster Award nominiert! Ich weiß, dass du erst vor kurzem einen bekommen hast, aber vielleicht hast du ja in ein paar Wochen Lust darüber zu schreiben? Mir gefällt dein Blog einfach unglaublich gut!

    Liebe Grüße
    Dörthe

  • 9. März 2015
    reply

    Juhuuu! Franzy erzählt vom Ulmer Hocker! Da freue ich mich ja als Wahl-Ulmerin besonders. Und da Otl Aicher auch die Neugestaltung des Erscheinungsbild der Stadt Iny im Allgäu, unweit meiner Heimat gestaltet hat, schließt sich der Kreis mal wieder.
    Sehr informativer und toller Post!
    Und nun habe ich noch eine schöne Überaschung für dich!!
    Du hast das Smoothie-Buch gewonnen!! Ich hab mich riesig für dich gefreut als der Zufallsgenerator deine Nummer ausspuckte!Nun kannst du loslegen. Lass mir nur irgendwie deine Adresse zukommen bitte!
    Schönen Abend!
    Liebe Grüße
    Nathalie

  • 9. September 2015
    reply

    Hallo Franzy,

    dein Post ist wirklich sehr interessant geschrieben. Ich würde wahrscheinlich den Ulmer Hocker auch eher als Beistelltisch nutzen.

    LG Sandra

  • 30. März 2016
    reply
    Valerie

    hey :)
    schöner post, ist wirklich sehr interessant geschrieben. ich habe nur eine frage: bist du dir sicher dass das eine schwalbenschwanz verbindung ist? ich finde es sieht eher nach einer fingerzinkung aus…;)
    habe selbst in meiner schulzeit einmal einen solchen hocker gebaut und er ist immernoch im einsatz! wirklich ein tolles teil :)

Post a Reply to Nathalie cancel reply